Probleme der Diagnostik

Hilfepläne, die auf diagnostischen Daten beruhen, gehen oft von der Konstanzidee aus: Was heute ist, war gestern so und wird morgen auch so sein - wenn nicht Hilfe erfolgt. Tatsächlich ist jede diagnostische Bewertung (Anamnese, Bericht, Stellungnahme, Beurteilung, Schulnoten) ein Schnappschuß im Leben einer Person oder einer Familie. Jede Diagnostik setzt sich aus Bewertungs- (Inhalt) und Beziehungsaussage (Form) zusammen. Die diagnostische Aussage ist meist eine selektive Bewertung einer begrenzten Zeitspanne im Leben einer Person und ist gefärbt durch die Beziehung, die zwischen dem Bewerter und der bewerteten Person besteht (Heisenbergs Unschärfenrelation, Batesons doppelte Beschreibung).

Personen/Familien, die zum Zweck von Hilfeleistungen diagnostiziert werden, befinden sich in Lebenskrisen, und bekannterweise unterliegen Werte und Einstellungen und damit auch die Verhaltensweisen von Menschen in Krisensituationen erheblichen Schwankungen.Typische Aussagen, die auf diesen Zustand verweisen, sind "emotional instabil, haltlos, unberechenbar usw." Emotionale Bindungen schwanken in Krisenzeiten zwischen Distanz und Nähe (Trennungssituation). Zwar ist Diagnostik ein Fortschritt, da es systematisches und reflektiertes Handeln ermöglicht, doch hat es einen gravierenden Nachteil: "Es kommt meist ganz anders". Dafür sorgen die erwähnten Verhaltensfluktuationen der Diagnostizierten (Perturbationen). In welcher Richtung das Verhalten fluktuieren wird und wie es sich eventuell stabilisieren wird, ist nicht abzusehen.

Die beiden genannten Aspekte, Subjektivität der Bewertung und Aussichtslosigkeit der Verhaltensvorhersage, decken sich mit Kernbegriffen der Systemtheorie: Bezug zwischen Beobachter und Objekt und Autopoiese.