Altersspezifische Trennungsreaktionen (R. Oberndorfer)

Wie Kinder mit der Trennungserlebnis fertig werden, hängt nicht von der Sorgerechtsregelung ab sondern von der Art und Weise, wie ihre getrenntlebenden Eltern mit ihnen umgehen, wie Eltern untereinander kooperieren, welche Konflikte sie im Beisein oder unter Benutzung der Kinder austragen und welchen unangenehmen trennungsbedingten Situationen die Kinder außerhalb der Elternhäuser ausgesetzt sind. Nach R.Oberndorfer (Staatsinstitut für Familienforschung, Univ. Bamberg) kann man bei Kindern zwischen fünf altersspezifischen Reaktionen (Bewältigungsstrategien) auf Trennung der Eltern unterscheiden (die Jahresangaben sind lediglich Richtwerte, korrespondieren mit kognitiven Entwicklungsphasen nach Piaget):

• 0 - 2 Jahre: Verlust gerade erworbener Fähigkeiten, erhöhte Irritierbarkeit, Rückzug aus der Umwelt auf sich selbst. In diesem Lebensabschnitt können Kinder Bindung zu allen verfügbaren Bezugspersonen entwickeln.
• 2 - 6 Jahre: Ausagierendes aggressives Verhalten, Selbstaggression, Entwicklung von Schuldgefühlen (z.B. ich war unartig, deshalb ist der Papa nicht mehr da) und Ängsten, Rückfall in frühkindliche Verhaltensweisen (z.B. Einnässen, Sprachstörungen), Anklammerungstendenzen und psychosomatische Störungen. In dieser Zeit glauben Kinder, daß die anderen gleiche Gefühle und Gedanken haben wie sie selbst (Perspektivwechsel nicht möglich). Trennung wird als Liebesentzug interpretiert.
  
• 5 - 9 Jahre: Verbalisierung des Wunsches nach Rückkehr des abwesenden Elternteils, Überangepaßtheit, Rückzug aus der Interaktion mit den Eltern und besonders mit Gleichaltrigen, Trauer, Depression, Loyalitätskonflikt. Sichtweise und Befindlichkeit des anderen wird erkannt. Kinder glauben, daß sich die psychische Befindlichkeit im Verhalten ausdrückt und beobachtet werden kann.
  
• 7 - 12 Jahre: Solidarisierung mit einem Elternteil bis zur Allianzbildung, aktives Eingreifen in das Geschehen, Hinwendung zu außerfamilialen Aktivitäten. Oft erfolgt Solidarisierung mit dem Elternteil, der am meisten leidet, oder mit dem, bei dem sie größere Sicherheit und Geborgenheit spüren. Aufgrund ihrer Streitereien werden Eltern nicht mehr in ihrer Führungs- und Erzieherkompetenz als Ratgeber akzeptiert.
  
• 10 - 15 Jahre: Heftige Reaktionen der Scham und Wut, überstürzte Ablösungsversuche, aber auch verzögerte Ablösung, einfühlsame Unterstützung beider Eltern. In dieser Entwicklungsphase gelingt es Kindern, eigene Lösungen zu entwickeln und die Perspektiven zu koordinieren. Sie können in dieser Phase häufig als Partnerersatz gesehen werden.

Home